Ein Architekturpublizist interviewt Stephan Streil – Auszug aus einem Fachbuch von Johannes Kottjé:
Häuser, die zwischen Ende der 1960er Jahre bis Mitte der 1980er Jahre gebaut wurden, gelten oft als besonders schadstoffbelastet. Trifft dies nach Ihren Erfahrungen zu? Worin liegen die Ursachen?
In diesen Jahren explodierten die technischen und chemischen Möglichkeiten geradezu. Zahlreiche neue Bauprodukte wurden entwickelt und kamen ohne Gesundheitsprüfung auf den Markt. Unkritische Technikgläubigkeit und eine starke Chemielobby ebneten den Weg für – wie wir heute wissen – gesundheitsgefährdende Produkte. Auch wenn die bedenklichsten Altlasten in den 1960er bis 1980er Jahren eingebracht wurden, ist eine scharfe Abgrenzung auf diesen Zeitraum nicht möglich. In der Praxis begegnen uns immer wieder ältere Häuser, die zu einem späteren Zeitpunkt mit diesen „modernen“ Baustoffen renoviert wurden. Auch bei deutlich jüngeren Gebäuden können noch Restbestände bedenklicher Mittel und Materialien verwendet worden sein.
Welche Schadstoffe sind für Häuser jener Zeit typisch und welche Auswirkungen können sie auf die Bewohner haben?
Zu den Dauerbrennern, die es zu trauriger Prominenz gebracht haben, gehören Asbest und Holzschutzmittel. Auch 20 Jahre nach dem offiziellen Verbot findet man in Gebäuden noch viele asbesthaltige Bauprodukte wie Dach-und Fassadenelemente (Asbestzement), Dämmmaterialien, Spritzasbest, Fensterbretter, Bodenbeläge, Kleber, Putze und Spachtelmassen.
Heute weiß man: Asbest erzeugt Krebs. Asbestfasern können in die Lungenbläschen eindringen und sind dort nur schwer abbaubar.
Solange die Asbestfasern fest gebunden sind besteht keine akute Gefahr. Das ändert sich schlagartig, wenn der Zahn der Zeit am Material nagt und vor allem bei Umbau- und Abbrucharbeiten. Besonders gefährdet ist der heimwerkelnde Laie, der am Wochenende mal eben die alten PVC-Beläge rausreißt und nichts ahnend Unmengen von Asbestfasern freisetzt. In der Praxis begegnen uns allerdings auch immer wieder Bodenleger, die unsachgemäß asbesthaltige Bodenplatten entfernen, Monteure, die Asbestzementplatten anbohren (das ist verboten!) und Heizungsbauer, die sorglos asbesthaltige Dichtungsschnüre entfernen. Das ist unverantwortlich, denn schließlich geht es neben dem eigenen und betrieblichen Gesundheitsschutz auch um die Verantwortung gegenüber den Kunden und der Umwelt.
Auch chemische Holzschutzmittel wurden jahrzehntelang völlig unkritisch in Innenräumen angewendet. Erst nach unübersehbarer Häufung schwerer Erkrankungen reagierte der Gesetzgeber in den 1980er Jahren und es wurden einige Substanzen wie z. B. Pentachlorphenol (PCP) verboten. Man sollte meinen, das wäre lange genug her um sich heute sicher fühlen zu können. Doch die Gifte sind extrem haltbar und heute noch in kritischen Konzentrationen nachweisbar.
Weitere häufig vorkommende Schadstoffe im Altbau sind Formaldehyd, Mineralfasern, PAK’s, Schwermetalle, PCB, radioaktiv auffällige Baustoffe und Radon.
Ich interessiere mich für den Kauf einer Immobilie – was kann ich tun, um mich vor bösen Überraschungen durch nach dem Kauf entdeckte Schadstoffbelastungen zu schützen? Gibt es Warnsignale, die auch Laien besonders aufmerken lassen sollten?
Große Investitionen brauchen eine sichere Entscheidungsgrundlage. Manchmal gibt bereits das aufmerksame Studium der Bauunterlagen Hinweise auf Schadstoffbelastungen. Am besten werden von Anfang an Sachverständige hinzugezogen. Ein Bausachverständiger für die Beurteilung der Bausubstanz und –statik. Und ein Baubiologe, der messtechnisch gerüstet ist, um die Immobilie auf Schadstoffe, Feuchte, Radioaktivität von Baustoffen und Radon zu prüfen. Eine gründliche Schadstoffuntersuchung vor dem Kauf sollte bei Immobilien selbstverständlich sein, damit es nach dem Kauf kein böses Erwachen durch unkalkulierte Sanierungskosten gibt. Finger weg von sogenannten „High-Tech-Analysen“ zum Selbermachen – das sollte eigentlich schon der gesunde Menschenverstand raten. Auch Verbraucherzentralen raten von solchem Pfusch ab.